RS Nr. 28/2023 - Betreuung von Kindern mit (drohender) Behinderung ("KiTa-Assistenz")
An die Jugendämter in Westfalen-Lippe
Betreuung von Kindern mit (drohender) Behinderung in Tageseinrichtungen für Kinder, die einen Anspruch auf individuelle heilpädagogische Leistungen haben („KiTa-Assistenz“)
- stundenweiser, partieller oder gänzlicher (vertraglicher) Ausschluss -
Sehr geehrte Damen und Herren,
zunehmend erreichen die Landesjugendämter als Betriebserlaubnisbehörden in Nordrhein-Westfalen Anfragen und Beschwerden im Zusammenhang mit dem durch einzelne Träger vorgenommenen stundenweisen, partiellen oder gänzlichen Ausschluss einzelner Kinder mit (drohender) Behinderung von der tagesaktuellen Bildung, Betreuung und Erziehung in den Kindertageseinrichtungen.
Den betroffenen Kindern mit (drohender) Behinderung wird zur regelhaften Betreuung in Kindertageseinrichtungen zusätzlich gemäß Anlage A.2.1 des Landesrahmenvertrages nach § 131 SGB IX in Verbindung mit § 79 SGB IX eine individuelle heilpädagogische Leistung („KiTa-Assistenz“) gewährt.
Der Ausschluss erfolgt in den benannten Fällen dann, wenn die Person, die die individuelle heilpädagogische Leistung erbringt, aus unterschiedlichsten Gründen nicht in der Kindertageseinrichtung anwesend sein kann. Dieser mögliche Ausschluss wird dabei teilweise bereits im Vorfeld vertraglich rechtswidrig festgeschrieben.
Die Landesjugendämter möchten mit diesem Rundschreiben darauf hinweisen, dass diese Kinder regelhaft in Kindertageseinrichtungen nach §§ 22, 22a, 45, 45a, SGB VIII aufgenommen sind oder werden, welche auch nach § 2 Abs. 2 Kinderbildungsgesetz - KiBiz den Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag für alle Kinder innehaben.
Die heilpädagogischen Leistungen in Kombination mit pädagogischen Leistungen in Kindertageseinrichtungen setzen auf den Regelleistungen der Kindertageseinrichtungen auf. Diese Regelleistungen werden für Kinder mit und ohne Behinderung gleichermaßen gewährt.
Gemäß § 22a Abs. 4 SGB VIII und auch § 8 KiBiz sollen Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen gemeinsam gefördert werden. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und von Kindern, die von Behinderung bedroht sind, sind zu berücksichtigen.
Die Aufnahme eines Kindes in eine Kindertageseinrichtung darf nicht aus Gründen einer (drohenden) Behinderung verweigert werden, vgl. Diskriminierungsverbot nach § 7 KiBiz, fußend auf Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
Kinder dürfen somit nicht allein aufgrund der Tatsache von der Betreuung ausgeschlossen bzw. benachteiligt werden, weil die Person, die die individuelle heilpädagogische Leistung erbringt („KiTa-Assistenz“), abwesend ist.
Die inklusive Ausrichtung der Aufgabenwahrnehmung und die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der Kinder mit (drohender) Behinderung sind Qualitätsmerkmale nach SGB VIII und können damit grundsätzlich nicht von der tatsächlichen Erbringung von Leistungen nach anderen Gesetzen, wie dem SGB IX, abhängig gemacht werden, vgl. § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX.
Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext auch, dass der Träger von Kindertageseinrichtungen, neben den Mitteln der Basisleistung I nach SGB IX, regelmäßig auch Landesmittel in Form der Gewährung der erhöhten Kindpauschale gemäß KiBiz für die Betreuung von Kindern mit (drohender) Behinderung erhält, vgl. Anlage zu § 33 KiBiz.
Der Träger sollte vor Ort und auf die gesamte Einrichtung bezogen prüfen, inwieweit die Betreuung aller in der Einrichtung betreuten Kinder im Rahmen der verfügbaren (personellen) Ressourcen möglich ist, vgl. § 26 Abs. 3 KiBiz. Nach dieser Norm ist das Personal der Gruppe grundsätzlich auch für die Kinder mit (drohender) Behinderung verantwortlich. Dabei sind die Bedürfnisse aller Kinder in den Blick zu nehmen und angemessene Lösungen für die individuelle Betreuung zu finden. Eine größtmögliche Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Kinder und deren Familien haben dabei oberste Priorität.
Mögliche Abwesenheitszeiten sollten möglichst vorausschauend bei der Planung des Personaleinsatzes berücksichtigt werden (z.B. Urlaub, voraussehbare Erkrankungen Fortbildung und sonstige Vakanzen). Hierbei sollten im Vorfeld auch zwischen Sorgeberechtigten, Trägern und ggf. Drittanbietern Vereinbarungen getroffen werden. Daneben schreibt § 22 Abs. 2 S. 3 SGB VIII ausdrücklich eine enge Zusammenarbeit der Kindertageseinrichtungen und den Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Trägern der Eingliederungshilfe vor. Gemeinsame Lösungen aller Beteiligten sind anzustreben.
Unzweifelhaft stellen die oben genannten Anforderungen die Träger teilweise auch aufgrund des gegenwärtigen Fachkräftemangels vor massive Herausforderungen. Eine Benachteiligung alleine aufgrund der Abwesenheit der Person, welche die individuelle heilpädagogische Leistung im Sinne des Landesrahmenvertrages nach § 131 SGB IX erbringt, ist jedoch grundsätzlich unzulässig.
Sollten bei Unterschreitung der personellen Mindestausstattung entsprechend § 36 Abs. 4 KiBiz, Kürzungen der Betreuungszeiten notwendig werden, sind die Interessen aller Kinder in den Blick zu nehmen.
Ob in Ausnahmefällen mit Blick auf den Schutzauftrag aller betreuten Kinder Entscheidungen zur Reduzierung des Betreuungsangebots für einzelne Kinder geboten sind, bedarf vor diesem Hintergrund einer sorgfältigen Abwägung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Kinder. Der Auftrag der Träger ist das Wohl der Kinder in der Einrichtung stets zu gewährleisten, vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1.
Mit freundlichen Grüßen
Der Direktor des Landschaftsverbandes
Im Auftrag
gez. Marlies Silies