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Rezension: "Jugendkriminalität, Jugendhilfe und Strafverfahren"

01.08.2024 Jugendhilfe-aktuell

Sozialwissenschaftlich-kriminologische Grundlagen und rechtliche Regelungen (SGB VIII und JGG)

(bh) Seit dem 17.12.2019 ist das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren in seinen wesentlichen Teilen in Kraft. Das transdisziplinäre Handbuch „Jugendkriminalität, Jugendhilfe und Strafverfahren“ von Prof. Dr. Thomas Trenczek und Dr. Annemarie Schmoll liegt daher in zweiter vollständig überarbeiteter Auflage vor, berücksichtigt die gesetzlichen Änderungen für das Jugendstrafverfahren und verknüpft wie schon die erste Auflage sehr gelungen die sozialwissenschaftlich-kriminologische und die juristische Perspektive auf die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren.

In der Einführung gehen Trenczek und Schmoll auf das Spannungsverhältnis von Jugendhilfe und Strafjustiz ein, mit der Betonung, dass das Jugendhilferecht (SGB VIII) und das Jugendstrafrecht (JGG) sich nicht nur widersprechen, auch wenn sie unterschiedlichen Logiken und Grundsätzen folgen.

Teil eins stellt die sozialwissenschaftlichen, devianzpädagogischen und kriminologischen sowie die empirischen und wissenschaftlich-theoretischen Erkenntnisse zur Lebensphase Jugend, zur Jugenddelinquenz und zu deren rechtsstaatlichen verfassten sozialen Kontrolle umfassend dar.

Auf dieser interdisziplinären Grundlage widmet sich der zweite Teil der Darstellung und Kommentierung der für das Arbeits- und Kooperationsfeld Jugendhilfe und Strafjustiz relevanten sozial- wie strafrechtlichen Grundlagen der Mitwirkung der Jugendhilfe im strafrechtlichen Verfahren.

Damit ist das Handbuch gleichzeitig ein Praxiskommentar für zahlreiche Professionen und fokussiert besonders die fachlichen Standards der Mitwirkung der Jugendhilfe im strafrechtlichen Verfahren sowie die daraus folgenden notwendigen Kooperationen der unterschiedlichen Berufsgruppen. Auch das neue Kapitel 2.4 Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren (S. 178 ff) am Ende des ersten Teils, in dem es u. a. um die historische Entwicklung der Verbindung von Strafe und Erziehung geht und die neu hinzugefügten Unterkapitel 3.4.3.1 Verfahrensbeschleunigung (S. 590 ff) und 3.4.3.2 Alltägliche Kooperation (S. 594 ff) mit Polizei und Staatsanwaltschaft tragen dem Rechnung. Die Auftragsklärung für eine professionelle Arbeit und Haltung steht dabei im Mittelpunkt, so dass sowohl Abgrenzung als auch Wechselwirkung von SGB VIII und JGG deutlich herausgearbeitet werden.

Trenczek und Schmoll positionieren sich auch fachlich eindeutig: Beispielweise

  • zu Interdisziplinären Fallkonferenzen (§ 52 Abs. 1 S. 2, 3 SGB VIII, § 37a Abs. 1 JGG): „Gemeinsame Fallkonferenzen sind – weder aus Sicht der KJH noch der Strafjustiz – jedenfalls kein geeignetes Instrument, um die ubiquitäre, bagatell- und/oder episodenhafte Delinquenz zu bearbeiten (insoweit gilt es dem Vorrang der Diversion mehr Geltung zu verschaffen) oder das Jugendstrafverfahren zu beschleunigen. Sinnvoll können sie sein zur Klärung und Koordination eines umfassenden Hilfe- und Leistungspakts verschiedener Institutionen zur Unterstützung des jungen Menschen und seiner Familie sowie zur Abwendung einer Sanktionseskalation oder Freiheitsentzug.“ (S. 598),
  • zu den zu ergreifenden Maßnahmevorschlägen (§ 38 Abs. 2 S. 2 JGG): „Es ist nicht die Aufgabe des Jugendamtes, (jugend-)strafrechtliche Sanktionen vorzuschlagen; v.a. „Sanktions-“ und „Ahndungsvorschläge“ haben zu unterbleiben.“ (S. 375) sowie
  • zu den Aufgaben im Rahmen von Weisungen und Auflagen – Kontrolle und Aufsicht (§ 38 Abs. 5 JGG): „Eine Zuständigkeit zur Durchführung der von Richter:innen angeordneten Weisungen besteht folglich nur, wenn gleichzeitig die (materiellen wir formellen) jugendhilferechtlichen Leistungsvoraussetzungen vorliegen […].“ (S. 397)

Diese Positionierungen sind hilfreich für die praktisch tätigen Fachkräfte. Gerade im interdisziplinären Kontext ist es für die professionelle Arbeit und Haltung unerlässlich, sich des eigenen Selbstverständnisses als Jugendhilfe im Strafverfahren und seines sozialpädagogischen Auftrags sicher zu sein.

Neben dem Literaturverzeichnis befindet sich im Anhang ein sehr umfangreiches Stichwortverzeichnis, welches eine gezielte Suche erleichtert. Insgesamt 27 Übersichten ermöglichen der Leserschaft, schnell einen guten Überblick über die behandelten Themen zu erlangen.
Vor allem die neu hinzugefügte Systemübersicht 26 zur Mitwirkung des Jugendamtes im jugendstrafrechtlichen Verfahren (S. 572) bietet Orientierung für das Kooperationsverhältnis der beteiligten Institutionen.

Weitere Informationen

Professor Dr. iur. Thomas Trenczek M. A. soz., Professor für Rechtswissenschaft (Öffentliches Recht, Jugend- und Strafrecht; Mediation/Konfliktmanagement), Ernst-Abbe-Hochschule Jena
Dr. iur. Annemarie Schmoll, B. A., wissenschaftliche Referentin (Abteilung Jugend und Jugendhilfe und Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention), Deutsches Jugendinstitut (DJI) München
Erschienen 2024 im Richard Boorberg Verlag, 619 Seiten, 98,00 €
ISBN 978-3-415-07598-6